Vom 21. bis 27.05. waren acht Jusos unterwegs zu einem Besuch der Republik China (ROC) – besser bekannt als Taiwan. Wie uns versichert wurde, waren wir die erste Juso-Delegation überhaupt, die das Land besucht hatte. Fragt sich nur, warum das so lange gedauert hatte.
Mit von der Partie waren: Daniel Brunkhorst, Markus Giebe, Anna Gros, Diana Lehmann, Fabian Löffler, Tilman Miraß, Elena Pieper und Andro Scholl.
Denn seit 1987 befindet sich dieser Inselstaat in einem Prozess der Demokratisierung und der Aufarbeitung der vorherigen Militärdiktatur. Freie Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in einem Mehrparteiensystem haben stattgefunden. Es kam zu Machtwechseln zwischen Regierung und Opposition, so wie man sich das in einer Demokratie eben vorstellt. Es gibt eine vielfältige Presselandschaft, die im Index für Pressefreiheit der Reporter ohne Grenzen im oberen Drittel rangiert. Kritisch ist nachwievor die Einstellung der Regierung und der Bevölkerung Taiwans zur Todesstrafe zu bewerten. Diese wird von 80% der TaiwanerInnen für gut befunden. Auch kritisch: Die Aufarbeitung der Militärdiktatur. Zwar gab es offizielle Entschuldigungen der Kuomintang für den ‚Weißen Terror’. In Folge dessen gab es Entschädigungszahlungen für die Opfer. Die Täter wurden aber nicht zur Rechenschaft gezogen.
Eines der wichtigsten Themen der taiwanischen Politik ist die Frage nach dem Verhältnis zur Volksrepublik China. Die VR sieht in Taiwan immer noch eine abtrünnige Provinz und lässt, im Rahmen ihrer Ein-China Politik, eine echte Unabhängigkeit Taiwans und folgerichtig eine Staatsgründung nicht zu. Die ROC wird dementsprechend auch international nur von einigen wenigen, meist kleinen Inselstaaten, völkerrechtlich anerkannt. In internationalen Organisationen ist Taiwan, mit wenigen Ausnahmen, nicht vertreten. Die aktuelle Regierung beabsichtigt, den status quo fortzuführen. Dies beinhaltet eine politische Unabhängigkeit von der VR und den Wunsch nach einer stärkeren internationalen Präsenz in internationalen Organisationen. Gleichzeitig aber auch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der VR. Langfristig schließt die Kuomintang aber auch eine Vereinigung nicht aus, wenn es in China zu freien Wahlen, Demokratie und Rechtstaatlichkeit kommt.
Es ist erstaunlich, dass der Taiwan-Konflikt in der europäischen Wahrnehmung scheinbar kaum vorkommt – im Gegensatz zum Tibet-Konflikt. Der, wenn auch mit völlig anders gelagerten Hintergründen, im Grunde doch dasselbe Konfliktfeld darstellt: Der Wunsch von Menschen in einem freien Land zu leben und der Unterdrückung (sei sie politisch oder religiös) zu entgehen.
Eine Gemeinsamkeit mit der VR stellt das Wirtschaftssystem Taiwans dar – beide gehören zu den dereguliertesten, kapitalistischsten Ökonomien weltweit. Kurios ist dennoch, dass die verteilungspolitischen Fragestellungen in der VR eine viel geringere Rolle spielen. Der Gini- Verteilungskoeffizient von Taiwan ist deutlich günstiger als der der VR – sprich Einkommen sind in Taiwan gleicher verteilt als in der VR, obwohl die doch mit dem Label „Sozialismus chinesischer Prägung“ gebrandet wird. Beim Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen rangiert die VR im Feld der Länder mittleren Entwicklungstandes zusammen mit Staaten wie El Slavador und Sri Lanka. Der HDI von Taiwan rangiert dagegen in den sehr hoch entwickelten Ländern und ist vergleichbar mit Staaten der Europäischen Union.
In der Diskussion mit dem Gewerkschaftsbund wurden insbesondere die zunehmende Problematik der Arbeitsplatzverlagerung in die VR China (aufgrund billigerer Löhne) und die geringen Rechte von „GastarbeiterInnen“ deutlich. So bekommen diese beispielsweise teilweise nur Gutscheine vom Staat. Eingang in die Gewerkschaften vor Ort hat die Diskussion um „decent work“ gefunden. „We are family“ wurde uns zum Abschluss unseres Gespräches zugerufen.
Genug der Zahlen. Der Eindruck, den wir bei unseren Besuchsterminen vermittelt bekommen haben, ist, dass sozialpolitische Fragestellungen einen Bedeutungszuwachs erlangt haben, einschließlich der Frage nach der Gleichstellung von Mann und Frau. Hier sieht man sich mit ganz ähnlichen Problemen wie bei uns konfrontiert. Die politischen Lösungsansätze sind teilweise, zum Beispiel bei der staatlichen Unterstützung von Erziehungszeiten, progressiver als bei uns.
Ökologie und erneuerbare Energien spielen in Taiwan eine erstaunlich große Rolle. Das Land besitzt eine Vielzahl von Naturschutzgebieten und setzt auf CO2– neutrale Energiequellen. Große Offshore Windparks sind vor der Pazifikküste der Insel entstanden, bzw. werden weiter ausgebaut. In der Entwicklung von Solarzellen spielt man in einer höheren Liga als hierzulande. Im Bereich der Wasserkraft gibt es große, bislang noch nicht genutzte Potentiale.
Etwas wankelmütig ist die Position der Regierung zum Thema Kernenergie. Auch in Taiwan gibt es regelmäßig Erdbeben und Fukushima liegt quasi vor der Haustür. Die Debatte ist in der Gesellschaft präsent. Nun sollen die drei im Betrieb befindlichen Reaktoren in naher Zukunft abgeschaltet werden – der vierte im Bau befindliche Reaktor soll aber planmäßig weiterbetrieben werden. Es bleibt abzuwarten, ob die Bevölkerung mit dieser Haltung einverstanden ist. Die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen finden in zwei Jahren statt. Trotz einer fast unüberschaubar großen Parteienlandschaft hat sich noch keine „Grüne“ Partei in Taiwan etabliert. Vielleicht wird sich dies durch diese Debatte ändern. Genau so wenig gibt es eine sozialdemokratische Partei, so wenig wie eine politische Jugendorganisation vergleichbar den Jusos.
Natürlich war es ein Anliegen der taiwanischen Seite, für ihre Position zu werben. Dies wurde uns bei den meisten offiziellen Terminen auch ganz unverhohlen deutlich gemacht ‑ auch wenn wir als Juso-Delegation hier sicherlich nicht die logischen AnsprechpartnerInnen gewesen sind.
Für uns Jusos stellt sich die Frage, warum wir uns in unserer internationalen Arbeit nicht stärker als bisher mit Taiwan beschäftigen sollten. Sicher, die Parteienlandschaft und die Funktion von Parteien sind im asiatischen Kontext unterschiedlich zu unseren Erfahrungen und Ansprüchen. Zumindest sollten wir bei unserer zukünftigen internationalen Arbeit im China-Kontext Taiwan nicht vergessen und dieses Themenfeld auf dem Schirm für Diskussionen haben.